„Oli, bitte“, stöhnt Kellan genervt und verdreht die Augen. „Heuschnupfen kriegst du nie wirklich in den Griff. Tse. Glaubt man dem Arzt, dann kannst du dich glücklich schätzen, wenn dein Leben durch den Heuschnupfen nicht allzu sehr eingeschränkt wird. Und er hat recht. Von den Allergietabletten werde ich nämlich dermaßen müde, dass ich am liebsten den ganzen Tag im Bett verbringen würde.“ Damit beendet Kellan das leidige Thema und nimmt einen Schluck lauwarmen Kaffee. „Wo waren wir?“, will Kellan wissen, während er Oli von der Seite mustert. Sein Kumpel, Schrägstrich Ex, ist ein großer, hagerer Kerl Mitte zwanzig. Piercings zieren seine Ohren, eine Augenbraue und die Lippe. Seine dunklen Haare stehen in purem Kontrast zu seiner bleichen Haut.
„Bevor du durch dein Niesen unseren Aufenthaltsort verraten hast, haben wir uns an deinem geilen Nachbarn ergötzt“, entgegnet Oli grinsend und deutet mit seinem kantigen Kinn in den Garten.
„Ach ja, stimmt“, murmelt Kellan, bevor er sich auf seinem Stuhl langsam zur Balkonbrüstung lehnt und einen scheuen Blick in die Grünanlage riskiert. Wie konnte ich das nur vergessen? Mitten in der Frühlingshitze dieses strahlend schönen Samstages arbeitet Kellans Nachbar an den Hecken, die den Garten umgeben und als natürliche Grenze zwischen den umliegenden Grundstücken dienen. „Er ist noch da“, flüstert Kellan, was Oli dazu verleitet, ebenfalls über die Brüstung zu spähen. Kellan kennt nicht einmal den Vornamen des Mannes, der vor zwei Monaten in die Parterrewohnung gezogen ist. Am Briefkasten und der Türklingel steht D. Bentz. Was genau sich hinter dieser Initiale versteckt, konnte Kellan noch nicht in Erfahrung bringen. Aber irgendwann würde er Licht ins Dunkel bringen. Durch Kellans akrobatische Verrenkungen auf dem Stuhl, blitzt seine leicht gebräunte Haut unter dem weißen Hemd hervor. Seine langen Beine stecken in engen Jeans. Er trägt einen gepflegten Dreitagebart, der seine Augen perfekt betont.
„Der ist schon ziemlich heiß“, schnurrt Oli betont gelassen, obwohl Kellan sehen kann, wie erregt sein Ex ist. Sie kennen sich schon zu lang, als dass er ihm etwas vormachen könnte.
„Ziemlich heiß? Der ist perfekt“, entgegnet Kellan und lässt seinen Blick über die in der Sonne glänzende, leicht feuchte Haut schweifen. Mit seinen kräftigen, vom Arbeiten leicht schmutzigen Händen, führt der Mann eine Heckenschere und schneidet die widerspenstigen Zweige in Form. An seinen Unterarmen sind Adern sichtbar, während seine Oberarme aus purem Muskel zu bestehen scheinen. Der schätzungsweise ein Meter neunzig große Kerl trägt ein weißes Muskelshirt, das eng an seinem Körper klebt. Unter dem dünnen Stoff zeichnen sich die Konturen seines trainierten Oberkörpers ab. Seine beigefarbenen Shorts geben den Blick auf knackige, leicht behaarte Waden frei. Jedes Mal, wenn Kellans Nachbar die Klingen der Gartenschere zusammendrückt, spielen die Muskeln an seinen Armen und dem Rücken.
Jede Zuckung ist Sinnlichkeit pur.
Kellan beißt sich auf die Unterlippe und stellt sich vor, wie verführerisch sein Nachbar nach der harten Arbeit duftet. Sein Kopfkino spielt verrückt und entführt ihn an Orte, die er nicht zu träumen gewagt hätte. Unvermittelt lässt der Beobachtete das Werkzeug sinken, legt es auf den Rasen und marschiert zur im Schatten bereitgestellten Kühlbox. Mit einer geschmeidigen und langsam ausgeführten Bewegung zieht er sich das Shirt über den Kopf und präsentiert seinen stählernen Oberkörper. Die glatt rasierte Brust glänzt förmlich in der Sonne. Kellan keucht und richtet mit einer flinken Bewegung seinen Schwanz in der mittlerweile viel zu engen Hose. Der Nachbar wischt sich mit dem Muskelshirt übers Gesicht und wirft es achtlos auf den Boden. Er öffnet die Kühlbox und nimmt sich ein eisgekühltes Bier heraus. „Oh mein Gott“, wispert Kellan gebannt, unfähig seine Augen abzuwenden.
„Das kannst du laut sagen“, pflichtet ihm Oli bei, in dessen Hose ebenfalls Platzmangel herrscht. Fasziniert beobachten die Voyeure, wie der Nachbar die Bierdose an seine perfekt geformten Lippen führt und einen kräftigen Schluck daraus nimmt. Auf der Dose bildet sich Feuchtigkeit. Die ersten Tropfen lösen sich und kullern über die erhitzte Haut des Nachbarn. Nach zwei weiteren durstigen Schlucken, wischt er sich mit dem Unterarm über die Lippen.
Kellans Mund steht mittlerweile offen.
Er ist derart besessen von dem lasziven Schauspiel, dass er nicht mehr reagieren kann, als er von einem neuerlichen Niesanfall überrascht wird. Die Bewegungen des Nachbarn ersterben. Er sieht sich um und entdeckt schließlich Kellan auf seinem Balkon. Erst als sich die Männer direkt in die Augen schauen, ebbt Kellans Niesen ab. Er wird rot, denn sein verschwitzter, äußerst attraktiver Nachbar scheint ihn mit einem Blick zu durchschauen und zu erahnen, was ihm für Bilder durch den Kopf gehen. Mit einem ohrenbetäubenden Knacken gibt der billige Plastikstuhl nach, auf dem Kellan noch immer an die Brüstung gelehnt sitzt.
Er landet unsanft auf dem Boden.
Oli, der längst abgetaucht ist, bricht in schallendes Gelächter aus. „Er hat mich gesehen“, keucht Kellan erschrocken und hält Oli verzweifelt den Mund zu. Doch dieser kriegt sich kaum ein und läuft vor Lachen puterrot an. „Und du, halt endlich die Klappe.“ Eine Lösung muss her. Kellan lehnt sich unvermittelt vor, um Oli zu küssen. Das zeigt die gewünschte Wirkung.
Das Gekicher erstirbt.
Es fühlt sich für beide vertraut an. Sie beenden den Kuss nach ein paar Sekunden und lächeln sich an. Es ist klar, wie dieser gemütliche Samstagnachmittag enden wird: Sie werden im Bett landen, sich das Gehirn rausvögeln und es nicht bereuen. Das ist einer der vielen Vorteile ihrer langjährigen Freundschaft. „Vielleicht kommt er hoch und macht mit“, schlägt Oli vor und wackelt dabei mit den Augenbrauen.
„Das ist nicht lustig“, murrt Kellan und macht sich daran, ins Wohnzimmer zu krabbeln. Das sieht derart komisch aus, dass Oli erneut losprustet. „Sei still und komm“, zischt Kellan. Oli verdreht die Augen, steht auf und folgt Kellan ins Innere der Wohnung. Erst als sie die Balkontür geschlossen haben und sich Kellan ebenfalls aufgerichtet hat, fällt die Anspannung von ihnen ab.
„Was glaubst du, wie er wohl reagieren wird? Ich meine, du hast ihn mit deinen Augen ja förmlich ausgezogen. Ob er da so begeistert ist?“, entgegnet Oli nachdenklich.
„Oh Gott, er kommt sicher rauf und verprügelt mich. Du musst mir helfen, Oli. Bitte. Oder vielleicht vermöbelt er mich auch erst, wenn er mich das nächste Mal allein im Treppenhaus erwischt. Ich bin nirgends mehr sicher … “ Oli beendet das zusammenhanglose Geschnatter seines Ex, indem er ihm den Zeigfinger auf die Lippen legt.
„Warum sollte er so etwas tun?“ Seine Stimme ist mitfühlend und sanft.
„Na hör mal, vielleicht ist er so eine machohafte Hete, die sich sofort in ihrer Männlichkeit angegriffen fühlt, wenn er von zwei Tucken angegafft wird.“
„Korrektur: Einer Tucke. Mich hat er nicht gesehen, da ich rechtzeitig abgetaucht bin. Das darfst du schön allein ausbaden“, wirft Oli ein. Kellan verdreht die Augen und schlägt seinem Ex auf den Oberarm. „Aua.“
„Geschieht dir recht.“
„Du übertreibst mal wieder maßlos, Kellan. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Er wird dich weder verprügeln, noch irgendetwas gegen dich unternehmen. Wahrscheinlich arbeitet er bereits wieder an seinen Hecken und hat dich längst verge…“ Das Klingeln an der Haustür lässt Oli verstummen. Kellan entweicht ein erschrockenes Keuchen.
„Scheiße“, murmelt Kellan bleich vor Schreck, bevor er kaum hörbar zur Tür schleicht und ängstlich durch den Türspion linst. Vor seiner Wohnungstür, nur wenige Zentimeter entfernt, steht der attraktive Nachbar, der sich gerade die Stirn mit seinem Unterarm abwischt und nicht gerade freundlich aussieht. Eiskalte Schauer überziehen Kellans Rücken. „Er ist es“, bedeutet er Oli tonlos und wedelt wild fuchtelnd mit den Händen. „Was soll ich jetzt bloß tun?“, fragt Kellan viel zu laut.
„Wie wär’s mit öffnen?“, dringt die Baritonstimme des Nachbarn an sein Ohr. Er schließt die Augen und schickt ein verzweifeltes Stoßgebet in den Himmel. Nach weiteren zehn Sekunden, dreht er den Schlüssel im Schloss und zieht die Tür einen Spalt breit auf. Die Männer sehen sich einige Sekunden einfach in die Augen. Kellans Adamsapfel hüpft wild auf und ab, während er trocken schluckt. Verzweifelt versucht er seine Schultern zu straffen und einigermaßen ruhig zu wirken. „Willst du mich nicht reinbitten?“ Verdattert tritt Kellan einen Schritt zurück und öffnet die Tür ganz.