Bittersüßes Fest (Teil von Pink Christmas 5)
Gay Romance
“Marc Weiherhofs Geschichte “Bittersüßes Fest”: Amüsant geschrieben, natürlich, emotional, wenn auch vorhersehbar. Der Hauptcharakter ist etwas zu tuckig für meinen Geschmack, aber man fühlt mit ihm mit und das fand ich super. Der erste Lichtblick im Buch.” Miss X
Inhaltsangabe
Flurin muss am 24. Dezember erfahren, dass sein Freund fremdgeht. Eine Welt bricht für ihn zusammen. Er entscheidet sich für das einzig Richtige und wirft den verlogenen Typ raus, verfällt aber in eine kleine Depression, aus der ihm nur seine beste Freundin, Cäcilia, und ihr Überraschungsgast helfen können. Erlebt eine bittersüße, romantische Weihnachten mit Herzschmerzpotential.
“Marc Weiherhofs Geschichte “Bittersüßes Fest”: Amüsant geschrieben, natürlich, emotional, wenn auch vorhersehbar. Der Hauptcharakter ist etwas zu tuckig für meinen Geschmack, aber man fühlt mit ihm mit und das fand ich super. Der erste Lichtblick im Buch.” Miss X
Leseprobe
„Du hast mit Matze gevögelt? Mit MATZE?! Oh, mein Gott. Oh Gott. Ich meine, wenn er wenigstens gut aussehen würde, aber er sieht aus wie ein 30-jähriger Schuljunge mit Glatze und Lederhosen!“, platzt es gekränkt aus Flurin heraus. Seine Stimme ist hoch und quiekend, während seine Wangen vor Wut glühen. Ein Schleier aus salziger Feuchtigkeit trübt das satte Blau seiner sonst so funkelnden Augen.
„Ach, komm schon, Fluri! Es war nur einmal und es hat mir nichts bedeutet. Ein bisschen Spaß, während ich von dir getrennt war!“, verteidigt sich Quentin lautstark und versucht seinen aufgebrachten Freund zu besänftigen. Warum habe ich nur mein Handy rumliegen lassen?, fragt er sich. „Ich liebe dich, das weißt du doch. Du bist meine Bündner Nusstorte, du bist meine Bestimmung!“, säuselt er etwas ruhiger. Bald habe ich dich im Sack, du sentimentale Zicke! Er zieht den aufgewühlten Flurin an seine Brust und streichelt ihm übers Haar. Warm, beruhigend und vertraut. Flurin entspannt sich ein wenig und schmeichelt sich an Quentins warmen Körper. „Gib mir das Telefon, Fluri. Ich will nicht, dass du dich noch mehr aufregst.“ Sein Freund befreit sich aus der halbherzigen Umarmung und sieht ihn mit großen, fassungslosen Augen an. Scheiße. Das war zu früh. Mist. Mist. Mist.
„Mit wem hast du es noch getrieben, Quentin? Mit wem?!“, will Flurin wissen, während er mit Quentins Telefon wild vor dessen Nase herumwedelt und ihn damit zu maßregeln scheint. Seine Stimme ist mittlerweile so hoch und nervtötend, dass Quentin fürchtet, dass bald etwas zerspringen könnte.
Sein Trommelfell vielleicht?
Plötzlich wirft Flurin das Telefon in seine Richtung. Quentin fängt es mit Leichtigkeit. „Mein Gott, Fluri. Du bist so anhänglich, so verzweifelt romantisch. Ich brauche meinen Freiraum, verstehst du? Ich brauche Spaß.“
„Zuerst faselst du mir was von Liebe, von Bestimmung, und jetzt das?! Wie viele waren es, seit wir zusammen sind? Spuck es aus!“, schreit Flurin aufgelöst und dennoch willens, die Wahrheit zu erfahren.
„Willst du das wirklich wissen? Ganz sicher?“ Tränen laufen über Flurins Gesicht, seine Lippen beben. Nach einer Weile nickt er und blickt zu Boden. Er weiß, was kommt, kann es sich denken. Aber er muss es hören, muss es wissen – um damit abzuschließen und es zu verarbeiten.
„Nebst Matze waren da noch Niko, Beat, Sam und Jens. Aber nochmals, mein Törtchen, es hatte nichts zu bedeuten. Ich liebe nur dich, Fluri. Du bist mein Seelenverwandter. Mit dir will ich alt werden, mit dir will ich mein Leben verbringen. Bitte glaub mir, ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewi…“
„Hast du wenigstens ein Kondom benutzt?“, schnieft Flurin, während er lautstark die Nase hochzieht. Mit seinen manikürten Händen fächert er sich Luft in die Augen, um die Tränen zu trocknen. Er steht kurz vor einem hysterischen Zusammenbruch. Die Pause, die auf seine Frage folgt, ist viel zu lang. Fluri blickt auf und starrt in das Gesicht des Mannes, dem er eineinhalb Jahre seines Lebens geschenkt hat. Darin ist Reue zu erkennen, aber auch Schuld und … Trotz. „Du hast diese Schlampen bare gefickt? Du hast deinen verdammten Schwanz ohne Schutz in ihre Löcher gesteckt, um mich ein paar Stunden später wieder ohne Gummi zu ficken?!“ Jetzt ist Flurin wütend. Seine Stimme bebt vor hitziger Erregung. Er ballt seine Fäuste an seinem Körper.
„Komm runter, Alter. Diese Knackärsche sind sauber!“
„Wa… was … fällt … dir …“
„Wenn es dich beruhigt: ich spritze nur in deinem Arsch ab, in keinem anderen sonst. Außerdem mache ich in regelmäßigen Abständen einen HIV-Test – der Letzte ist eine Woche her. Resultat: negativ. Okay, Fluri?“
„Wa… wa… wa… has… du … verdammt … das … ich … glaub … das … das einfach … nicht!“, stottert Flurin außer sich vor Wut. „Jetzt muss ich auch noch einen HIV-Test machen, oder was?!“
„Nun reg dich mal wieder ab, Fluri. Ich versichere dir, dass ich sauber bin. Wenn du aber unbedingt willst, kannst du nach den Feiertagen einen Test machen! Zudem haben wir schon sehr lange nicht mehr gefickt.“
„Ich … ich weiß … weiß jetzt auch warum! Du bist … echt … das allerle…“
„Übertreib nicht so! Du weißt, dass du ohne mich nicht leben kannst. Ohne deinen Quentin und sein Werkzeug, seinen Presslufthammer. Außerdem ist heute Weihnachten und ich weiß genau, wie viel dir dieser Tag bedeutet. Den willst du nicht alleine feiern, glaub’s mir!“ Mit offenem Mund steht der andere Mann da und starrt Quentin an. Die Tränen, die über seine Wangen gekullert sind, versiegen in diesem Moment, verdampfen förmlich. Etwas stirbt in seinem Innern.
Liebe. Hoffnung. Eine gemeinsame Zukunft.
So ruhig wie nur möglich geht Flurin Richtung Wohnzimmer. Es fällt ihm schwer, so wütend wie er ist. Auf einem Tisch steht Quentins kleine Kunsttanne, die so wenig mit Weihnachten zu tun hat, wie ein Lama in der Wüste. Flackernd tanzen die grellen Lichtlein über das offensichtlich falsche Nadelgrün der Tanne, wie die Besetzung einer drittklassigen Ballettaufführung. Das Bäumchen ist mit bunten Plastikkugeln geschmückt, die Flurin heute Morgen eigens angebracht hat. Darunter liegen Geschenke.
„Siehst du, du hast ja schon die Geschenke darunter gelegt. Mach dich nicht unglücklich, Fluri!“ Lange Zeit geschieht nichts. Flurin starrt den Baum an, mustert die Geschenke, das festliche Papier, das sie umhüllt.
Er trifft eine Entscheidung.
„Weißt du was, Quentin? Du hast mir heute das wertvollste aller Weihnachtsgeschenke gemacht. Du hast mir gezeigt, wie falsch, hinterhältig und krank du bist. Du hast mich und meine Liebe verraten. Du hast meine Gesundheit aufs Spiel gesetzt und für was?! Für ein bisschen Ficken mit … mit diesen billigen Schlampen!“ Befeuert von seinen Worten wird die Trauer in Flurins Innerem endgültig durch unbändige Wut ersetzt.
„Denkst du, dass ich mein Leben lang nur einen Arsch ficken will? Glaubst du, dass mir das genügt? Was willst du von mir, Flurin? Hä? Was?! Du bist ja nicht mal ein richtiger Mann. Du bist so tuntig, dass es mich schmerzt.“
„Das reicht! Ich will, dass du deinen Kram packst und abhaust! Du kannst gleich anfangen und zwar mit dieser hässlichen, kitschigen Kunsttanne!“, presst Flurin hervor, bevor er den Baum am Stamm packt und mit Wucht daran zieht. Der Stecker der Lichterkette wird aus der Steckdose gerissen. Funken sprühen, die Plastikkugeln schlagen gegeneinander.
„Spinnst du?!“, kommt es hysterisch.
„Nimm diese Scheußlichkeit, deine Macho-Klamotten, deine billigen Sextoys und deinen … deinen Presslufthammer – obwohl ich dir sagen muss, dass du gar nicht so gut bist, wie du denkst – und verschwinde aus meiner Wohnung!“
„Fluri … ich …“
„Hau ab! Hast du nicht gehört? Verpiss dich du, falsche Ratte! Lass mich in Frieden und scher dich zum Teufel!“ Als Quentin noch immer verdattert vor ihm steht, holt Flurin aus und schlägt mit der Kunsttanne auf seinen Ex-Geliebten ein. Einige Kugeln lösen sich dabei, prallen auf den Holzboden und kullern davon. Die Girlande löst sich und zahlreiche Nadeln des künstlichen Baumes flattern durch die Luft. Quentin schützt sein Gesicht mit seinem Arm und lässt sich zum Ausgang drängen.
„Bist du verrückt?! Hör auf mich zu schlagen! Du bist ja irre. Du bist ein kleiner, unglücklicher Mann. Ein unglücklicher Romantiker, ein Loser!“, gibt Quentin zurück. „Du tust mir leid, du und dein häusliches Leben, dein Wunsch nach einer Familie, Glück und Zufriedenheit. Du bist ein Fantast, ein Träumer! Ein kleines Hausfrauchen, das auf seinen Ehmann wartet. Weißt du was? Das passiert niemals! Hast du gehört? Niemals! Männer wollen ficken, wollen Spaß haben, Ausgang, Party! Zu Hause verrotten kannst du alleine oder mit einem verdammten Goldfisch, der genauso armselig ist wie du!“
„Hau … endlich … ab!“, schluchzt Flurin, während er den Baum weiter gegen Quentin schlägt. Die Tanne sieht mittlerweile ziemlich lädiert aus, als ob ein kilometerlanger Güterzug darüber gedonnert ist. Der Metallstamm hat sich verbogen und die Äste stehen in alle Himmelsrichtungen ab. Sogar die Kunstnadeln sind wild durcheinander gebogen. Quentin flüchtet zur Eingangstür. „Komm ja nicht wieder! Hast du gehört?! Lass mich in Ruhe!“, damit schleudert er die Kunsttanne in hohem Bogen aus der Wohnung. „Du hast mich und meine Liebe verraten. Du bist ein kaltherziges Schwein. Du bist die traurige Gestalt, von der du gesprochen hast! Du! Du hast mir Weihnachten zerstört! Du bist ein grausamer, gefühlskalter Grinch mit einem … einem grünen Pimmel. Ich hoffe, dass er dir abfällt!“
„Hör auf mir Dinge hinterherzuschmeißen! Was ist mit meinen Klamotten, meinen anderen Sachen?“
„Ist mir doch egal! Verpiss dich endlich, du Arschloch! Lass mich in Ruhe!“ Flurin knallt die Tür zu und schließt sich ein. Mit den Fäusten schlägt er gegen das dünne Holz, sieht durchs Guckloch und beobachtet Quentin dabei, wie er geduckt durchs Treppenhaus verschwindet. Weinend, schluchzend und fluchend rutscht Flurin an der Tür nach unten, bis er auf dem Boden auftrifft. Er winkelt seine Beine an und legt seinen Kopf auf die Knie. Bittere Tränen fließen über seine Haut. Es ist, als ob etwas in seinem Inneren stirbt. Warum habe ich ihm vertraut? Warum habe ich ihm mein Herz geschenkt? Ich hätte es wissen müssen. Verdammte Scheiße. Ich hätte wissen müssen, dass er ein Betrüger ist. Ich habe es ja geahnt, wollte es aber nicht wahrhaben. Eineinhalb Jahre futsch, verschwendet an einen … einen … einen verdammten Presslufthammer! Seine Gedanken sind so melancholisch, dass es schon fast wieder lustig ist. So gut war er mit seinem kleinen Würstchen und seinen Schrumpfhoden nun auch wieder nicht. Presslufthammer. Pah. Wenn man’s mit der Größe nicht bringt, dann halt mit leerem Geschwafel. In diesem Moment ertönt im Wohnzimmerradio die Ohrwurmmelodie von Wham, ‚Last Christmas‘.
Last Christmas I gave you my heart. But the very next day you gave it away. This year, to save me from tears, I’ll give it to someone special.
Weitere Tränen kullern über Flurins Gesicht. Dieser Song ist so kitschig und bittersüß, dass er Angst hat, sich übergeben zu müssen. Ich gab mein Herz auch jemand Speziellem. Einem verdammten Würstchen mit Minderwertigkeitskomplexen. Mit einem Papiertaschentuch trocknet Flurin seine Tränen, rappelt sich mühselig auf und schlurft ins Wohnzimmer. Dort liegen noch einige der Plastikkugeln, ausgefallene Nadeln und die sorgsam verpackten Geschenke, die das schönste Fest des Jahres hätten einläuten sollten. Was bleibt, ist bittersüße Einsamkeit und ein gebrochenes Herz.
Last Christmas I gave you my heart. But the very next day you gave it away. This year, to save me from tears, I’ll give it to someone special.
„Flurin? Wo bleibst du? Wir wollten doch Weihnachtseinkäufe machen!“, krakeelt Cäcilia in den Lautsprecher ihres Smartphones, als ihr bester Freund endlich abnimmt. Dröhnendes Schnäuzen dringt an ihr Ohr. Erschrocken hält sie es von ihrem empfindlichen Gehörgang weg. „Fluri? Was ist los?“, will sie wissen, als Tinnitus endlich in weite Ferne rückt.
„Arsch – ficken – fremd – einfach – bare – gemein – rausgeschmissen – Tanne – futsch – alleine – Tod sein – Geschenke – leck mich doch – einfach so – alleine – Scheißweihnachten!“
„Was ist los?!“
„Ich – gesagt – verdammt – alleine – erschieß – mich – Weihnachten – alles – im – Arsch!“ Die wenigen Worte, die Cilia von diesem Gejaule entziffern kann, machen zwar irgendwie Sinn, aber sie muss nun doch nochmals nachfragen.
„Fluri?“
„Malte – Telefon – Tanne – rausgeschmissen – fünf – Schlampen.“
„Fluri?! Hörst du mir mal zu. Ja? Ich kann kein Wort verstehen, das du sagst. Wir machen das jetzt wie folgt: Einmal Schluchzen heißt ‚Ja‘, Fluchen heißt ‚Nein‘! Kapiert?“
Schluchzen am anderen Ende.
„Gut. Hat er dich betrogen?“
Schluchzen.
„Hast du ihn rausgeworfen?“
Grummeln und Schluchzen, gefolgt von Schnäuzen.
„Verstehe. Armer Schatz. Aber du willst sicher trotzdem, dass Pascal, Michele und ich bei dir vorbeikommen, um Weihnachten zu feiern?“
„Nein. Verdammt, das will ich nicht. Hast – hast du mir – mir nicht zugehört? Er hat mich betrogen, ich habe ihn rausgeworfen. Der Tannenbaum ist weg – die – die Stimmung ist im Arsch. Verdammt noch mal.“
„So viele Male hintereinander habe ich dich noch nie ‚Arsch‘ sagen hören. Fluri? Ich komme vorbei und ich bringe meinen Pascal und den Bekannten mit. Okay?“
„Warum begreifst du nicht einfach, was ich sage?! Warum? Ich will keine verdammte Weihnachtsfeier. Ich will alleine sein und sterben! Das alles hier, das ist für den Ar…“ Ein Klicken in der Leitung. „Hallo? Cilia? Nein, du … du kannst mich nicht einfach abwürgen! Nicht, wenn ich so verzweifelt bin!“ Auch nach mehrmaligem Klingeln lassen nimmt seine beste Freundin nicht ab. „Warum passiert mir das? Wie habe ich das verdient?“, schreit Flurin melancholisch und übertrieben aufbrausend, während er sein Smartphone wutentbrannt auf den Esstisch donnert und ins Schlafzimmer stampft.
Cäcilia stürmt durch das Treppenhaus in den zweiten Stock. Was sich ihr offenbart, ist ein Bild des puren Grauens – für jeden, der Weihnachten liebt. Auf den Stufen vor Fluris Wohnung liegt ein völlig zerzauster Kunstbaum und Kugeln sind über das gesamte Treppenhaus verteilt. Es drückt ihr das Herz ab. Cilia eilt weiter die Stufen hoch, zückt den Ersatzschlüssel und rammt ihn ins Schloss. Langsam öffnet sie die Tür und tritt ein. Es ist dunkel. In der ganzen Wohnung brennt kein einziges Licht. Aus dem Schlafzimmer dröhnen dramatische Orgelklänge. Eine Symphonie der Trauer, des Verlusts und der Einsamkeit. Das Gedudel strapaziert Cilias Geduld und ihr Gehör. Sachte öffnet sie die Schlafzimmertür. Dunkelheit. Die Jalousien sind geschlossen, sämtliche Lichtquellen wurden ausgeknipst.
„Flurin? Wo bist du?“, schreit Cilia gegen die Orgelklänge an. Sie stampft durch das beinahe dunkle Zimmer, das lediglich vom Flurlicht erhellt wird. Sie stolpert über Klamotten und anderen Kram, bis sie endlich das Fenster erreicht, um das muffige Zimmer mit Tageslicht und frischer Luft zu fluten.
„Wääääh. Verdammt. Mach das aus! Es ist viel zu hell und zu kalt!“, keift Flurin, bevor er sich die Decke über den Kopf zieht. Cäcilia sieht sich im Zimmer um. Fluri hat sämtliche von Quentins Klamotten aus dem Schrank gerissen und über den Boden verteilt. Einige Jeans und Shirts sind zerschnitten. Die Schere liegt noch offen auf der Bettdecke. Außerdem liegen da noch … Dildos, Vibratoren, Plugs, Ringe und sonstiger Firlefanz, den Cilia nicht zuordnen kann beziehungsweise will. Mit ein paar Schritten ist sie beim Radio und lässt die melancholischen Orgelklänge verstummen. „Was willst du hier? Ich habe dir gesagt, dass ich niemanden sehen will!“, schnieft Flurin unter der Bettdecke hervor. Cilia legt die Schere aufs Nachttischchen und setzt sich zu Flurin aufs Bett.
„Schatz, komm. Lass mich dir helfen. Ja? Ich bin es doch Cilia. Lass mich dein Gesicht sehen. Ich will dich trösten und aufmuntern.“
„Ich habe gesagt: Lass mich in Ruhe! Er hat mich betrogen. Dieses Schwein. Mit fünf Typen. Er war so gemein so mir. Er hat Dinge gesagt. Ich … ich … ich sei eine Tunte und ein … ein Romantiker. Ich … be… bekomme nie jemanden ab und niemand will – will mich. Wäähähää. ICH. WILL. ALLEINE. SEIN!“
„Du willst in Selbstmitleid versinken? Du willst alleine sein? Du willst für Wochen nicht aus dem Haus und dir einen Bart stehen lassen? Das kannst du haben, mein Süßer, aber nicht heute. In einer Stunde kommt mein schnuckliger Freund mit dem Bekannten, den ich dir schon sehr lange vorstellen will.“ Mit einem Ruck reißt Cilia die Decke von Flurins verweinter Gestalt. Sie erschaudert und reißt erschrocken die Augen auf. Seine Haare stehen wild in alle Himmelsrichtungen, seine Augen sind verquollen und verweint. Seine Lippen geschwollen und seine Nase rot und verheult. Schnodder läuft über seine Lippen. Mühsam versucht er das Zeug zurück in seine Nasenlöcher zu ziehen.
Ohne Erfolg.
„In einer Stunde? Was – was fällt dir ein?! Du siehst doch, wie ich aussehe. Du siehst doch, wie es hier aussieht! Ich kann keine Gäste empfangen. Ich will keine Gäste empfangen. Ich habe ja noch nicht einmal ein Bäumchen. Nichts. Niiiichts!“, protestiert Flurin erneut. „Ich will sterben! Hörst du? Sterben!“
„Ach komm, Fluri. Du siehst zwar scheiße aus, aber ich bin sicher, dass wir dich wieder hinkriegen bis in einer Stunde. Okay? Aber weißt du was? Das muss ich festhalten. So habe ich dich noch nie gesehen! Der Hammer.“ Sie kramt aus ihrer Tasche das Smartphone hervor. Fluri bekommt es gar nicht richtig mit. Was hat sie gesagt?, fragt er sich noch. Bevor sie abdrückt, wühlt sie auf dem Boden nach etwas und wirft es dem verwirrten Flurin zu. Er fängt das schwarze Teil beinahe graziös. Er dreht es in seinen Händen umher, muss zuerst die Tränen wegblinzeln, um zu erkennen, was es ist. Just in der Sekunde, als er den Doppeldildo erkennt, drückt Cilia ab.
Klick.
Mit großen und fassungslosen Augen starrt Flurin seine – vermeintlich – beste Freundin an und verschwindet zurück unter der Bettdecke.
„Ich hasse dich. Ich hasse dich! Ich. Hasse. Dich!“
„Ja, ich weiß, Baby, ich weiß. Komm jetzt. Ich helfe dir ins Bad. Hast du getrunken? Es ist doch erst vier Uhr“, will Cilia wissen, als sie die geleerte Weinflasche beäugt und die Nase rümpft. Mit einem Ruck reißt sie Flurin die Bettdecke erneut vom Körper. Er trägt schwarze Pants, sonst nichts. Sein schlanker Körper wirkt so zerbrechlich und dennoch muss Cilia durchgreifen, wenn sie ihrem besten Freund das Weihnachtsfest noch retten will. „Komm schon, Fluri. Steh auf und geh duschen!“ Als sie ihn mit der Hand am Rücken berührt und ihm zeigt, dass sie da ist, dreht er sich um und kuschelt sich in ihren Schoß.
„Er hat mich betrogen, Cilia. Er hat mich betrogen“, flüstert Fluri weinerlich und gekränkt.
„Es tut mir so leid, Fluri. Wirklich. Es ist einfach schrecklich, dass er dein Vertrauen missbraucht hat und dich so mies behandelt. Du hast etwas Besseres verdient. Du hast einen Mann verdient, der dich liebt, schätzt und alles für dich tut. Du hast einen Mann verdient, der deine divenhaften Allüren erträgt, dich bei deinen Vorhaben unterstützt, deinen Kleiderfetisch übersieht und für dich durch dick und dünn geht. Und weißt du was? Du wirst diesen Mann finden. Du darfst nur nicht aufgeben. Niemals!“
„Ich … ich weiß nicht, ob ich dazu nochmals die Kraft habe. Er hat mir so wehgetan. Was er zu mir gesagt hat. Das hat mich so verletzt. Ich wurde so wütend, ich habe ihn und seine Kitschtanne zum Teufel gejagt!“
„Ich habe sie gesehen. Sie liegt im Treppenhaus. Der hast du ja ganz schön zugesetzt!“, schmunzelt Cilia. „Hast du ihn wenigstens getroffen oder hast du – wie beim Fußball in der Schule – danebengeschlagen?“ Das entlockt Flurin ein kleines Lachen.
„Du bist blöd“, nuschelt er, als er sich von Cilia übers Haar streicheln lässt.
„Hmhmmm. Du wirst jemanden finden, Fluri. Wirklich. Aber jetzt bitte … geh duschen. Du stinkst und siehst scheiße aus. In vierzig Minuten kommen die Männer, da wollen wir Mädels doch gut aussehen, oder?“
„O-okay“, murmelt er geistesabwesend, steht auf und schlurft ins angrenzende Badezimmer. Seine schwarze Pants hängt halb von seinem knackigen Hintern, während er genüsslich seine linke Backe kratzt. Cilia schüttelt grinsend den Kopf, verlässt das Schlafzimmer und beginnt im Flur, der Küche und im Wohnzimmer aufzuräumen. Sie hört die Dusche und ist froh, dass Flurin diesem Weihnachten noch eine Chance gibt.