„Ach, Darhim. In ein paar Stunden erreichen wir die Tore von Sherhar und ich verspüre kein Verlangen nach dem Palast, meinem Vater und den Pflichten, die mir bei Geburt auferlegt wurden“, klage ich mit einem Schnauben. Ich ziehe meinen Umhang tiefer in mein Gesicht, um mich vor der brütenden Sonne zu schützen.
„Ich kenne Eure schweren Gedanken, mein Herr. Dennoch könnt Ihr Eurer Bestimmung nicht entrinnen. Umarmt den Tag. Ich spüre, dass sich Euer Leben heute für immer ändern wird.“
„Seit wann bist du ein Medium, Darhim?“, spotte ich, als ich meine lederne Trinkflasche öffne, um meinen Körper mit einem kräftigen Schluck der lauwarmen Flüssigkeit vor dem Austrocknen zu bewahren. „Schluss damit. Reiten wir schneller, ich will dieser brütenden Hitze entkommen“, befehle ich, bevor ich mein Pferd flinker durch den Wüstensand galoppieren lasse. Ich lasse meinen Blick beiläufig über die Dünen gleiten. Nichts als Sand, soweit das Auge reicht. Plötzlich entdecke ich eine kleine Oase, die mir vage bekannt vorkommt. Eigentlich müsste man die Stadt in Kürze … ich stocke in meinen Gedanken. Beeindruckend und mächtig ragt Vaters Vermächtnis als Bollwerk aus der Einöde und demonstriert Überlegenheit und Stärke. Wenig später traben Darhim und ich durch die Stadttore und werden von den Bewohnern mit Jubelrufen und überquellender Freude empfangen. Ich grüße die Menschen freundlich und reite Richtung Palast, der majestätisch auf einem Hügel über der Stadt thront. Je näher wir meinem Zuhause kommen, desto gepflegter und schöner wird die Umgebung. Als ich mich von meinem Pferd schwinge und die Kieselsteine des Palasthofes unter meinen Füßen spüre, wird mir die fünftägige Reise so richtig bewusst. Mein Körper schmerzt und mein Körpergeruch verlangt nach einem warmen Bad. Ich übergebe das Pferd einem Diener, um es zu versorgen und gehe Richtung meiner Gemächer.
Da entdecke ich ihn.
Pechschwarzes Haar, schlank, braungebrannt und äußerst anziehend. Ein Diener. Er kümmert sich um den Garten, wie es scheint. Die Hände des jungen Mannes sind schmutzig, an einigen Stellen blutig und sein nackter Oberkörper ist mit einem leichten Schweißfilm überzogen. Geblendet von seinem Äußeren geht mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: Er sieht aus, wie mein nächster Fehltritt und Vater wird daran keine Freude haben.
„Sir?“, werde ich von einem Boten angesprochen. „Eure Majestät Prinz von Sherhar-Bhar?“ Ich schüttle unmerklich den Kopf, erlange meine Fassung zurück, nehme Haltung an und blicke dem Mann in die Augen. Er senkt sofort seinen Blick. „Euer Vater erwartet Euch umgehend im Thronsaal.“
„Später“, erwidere ich barsch. „Ich werde baden und mich von der strapaziösen Reise erholen. Ich treffe ihn heute Abend.“
„Aber, mein Herr …“
„Nichts aber! Geht!“, befehle ich, bevor ich den Mann stehen lasse und meine Schritte in die Richtung des Gärtners lenke. Dann will ich Vater mal nicht enttäuschen, denke ich schmunzelnd.
~ Aren ~
Ab dem Augenblick, als er auf seinem weißen Vollblüter in den Palasthof reitet, gilt ihm meine volle Aufmerksamkeit. Sein Auftreten, der Ausdruck auf seinem markanten Gesicht, die funkelnden Augen – der Mann ist atemberaubend und er ist der Sohn des Sultans. Schon allein deswegen unerreichbar für mich. Sein beigefarbener Leinenumhang verbirgt seine langen, welligen, dunkelbraunen Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hat. Als er die Kopfbedeckung entfernt, wird diese Pracht sichtbar und raubt mir das letzte Fünkchen Kraft. Er kommt auf mich zu und ich befürchte, dass meine Beine wegsacken, wenn er noch näher kommt. Ich stütze mich auf der Schaufel ab und hoffe inständig, dass ich nichts falsch gemacht habe, denn ich arbeite noch nicht lange im Palast. Ich zwinge mich zu Boden zu schauen, schaffe es aber nur bedingt. Ich will seine Augen sehen, die Farbe darin erkennen. Sie sollen funkelnd blau sein und wie Saphire blitzen. Der Saphirprinz hat zudem eine hellere Haut, als es hier üblich ist und ist damit eine Ausnahmeerscheinung – seine Mutter war eine Auswärtige, so berichtet man.
Ich starre ihn an.
„Guten Tag“, ertönt seine wohlklingende Stimme. Sanft, tief und erregend. Die Worte schießen durch meinen Körper und verstärken mein Verlangen nach ihm.
„Gu- guten Tag, Eure Hoheit Prinz von …“, stammle ich, bevor er mich unterbricht.
„Sag einfach Kian. Ich habe dich hier noch nie gesehen.“
„Das ist richtig. Ich arbeite erst seit drei Monaten hier, mein Herr“, sage ich mit gefasster Stimme. Ich sehe ihn noch immer direkt an, obwohl dies den Dienern strengstens untersagt ist. Er tritt näher. Seine Lippen sind so geschmeidig und wohlgeformt, dass ich meinen Blick nicht davon lösen kann. Wie gerne würde ich vortreten und ihn küssen. Einfach so, meinem Verlangen nachgeben. Man würde mich köpfen, also halte ich mich zurück, versuche meine Fassung wiederzuerlangen. Jetzt steigt mir sein Duft in die Nase und ich schwanke leicht zurück, drohe zu fallen.
„Alles in Ordnung?“, will er wissen, als er mich stützt und am Fallen hindert. Als mich seine warmen Hände auffangen, er mich in seine Arme zieht, ist es um mich geschehen. Ich drücke mich an seinen Körper, schmiege mich an die warme Brust. „Warst du zu lange an der Sonne?“, will er wissen, als er mich umarmt. „Komm, wir gehen in den Schatten“, sagt er mitfühlend, als er mich Richtung Palast führt.
„Nein, ähm … entschuldigt, mein Prinz. Ich … ich mache Euer Gewand schmutzig“, stammle ich, als ich mich von ihm löse. Wir sehen uns in die Augen. Die Gerüchte sind wahr. Funkelnde Saphire mit hellen Sprenkeln leuchten mir entgegen. Meine Lippen zittern und ich fühle mich schwach, als ob sämtliche Kraft aus meinem Körper gewichen ist. Dieser Moment ist magisch und unwiederbringlich. Es ist, als ob er direkt in mein Innerstes sehen und mich erkennen kann, den Mann hinter dem Diener, dem armen Mann.
Unser Blickkontakt wird unterbrochen.
„Kian? Ich wünsche dich zu sehen, mein Sohn“, ruft Rafik, der Sultan, von einem Balkon hoch über uns. Der Prinz wendet sich von mir ab und blickt zu seinem Vater empor.
„Vater, ich war lange unterwegs und werde vorher baden …“
„Sofort!“, donnert die Stimme des Sultans über die Gartenanlage. Kian schließt genervt die Augen, nickt und lässt mich stehen.
Einfach so.
Was sollte er auch anderes tun? Ich bin sein Diener, ein Sklave am Hause des Sultans. Ich durfte ihn berühren, ihm nahe sein. Das ist mehr, als ich jemals erwarten durfte. Mein Herz krampft sich bei diesem Gedanken zusammen. Ich sehe ihm nach, wie er wütend Richtung Palast stampft. Sein erregend betörender Duft wird immer flüchtiger und verschwindet wenig später ganz – mein Herz fühlt sich mittlerweile wie eine verschrumpelte Rosine an.